«Klug fragen können, ist die halbe Weisheit.» Nicht nur Sir Francis Bacon sprach davon, auch andere Philosophen und grosse Denker unterschiedlicher Zeitepochen wiesen auf die Kunst des klugen Fragens hin. In Interviews höre ich oft Fragen wie: Warum sollen wir gerade Ihnen die Stelle geben? Was ist Ihr Elevator Pitch für diese Stelle? Was sagt Ihre beste Freundin über Sie? Wie würden Sie Ihre Persönlichkeit in drei Worten beschreiben? Welche Rolle übernehmen Sie im Team? Welchen Führungsstil pflegen Sie? Solche Fragen tarnen sich auf den ersten Blick als effektiv, tatsächlich sind sie aber unklug, denn sie verfehlen meist das Ziel eines Vorstellungsgesprächs. Sie zeichnen weder ein reales Bild der Persönlichkeit noch eignen sie sich zur Einschätzung relevanter Kompetenzen. Auf diese Weise erhält der Recruiter an das Idealbild angepasste Antworten und keine differenzierte Selbsteinschätzung.
Auch Verhaltensfragen haben einen ähnlichen Effekt. Kandidaten sind im Jobinterview darauf fokussiert, ihre Schwächen zu kaschieren und auf die Stärken zu lenken. Über erlebte Erfolge und Misserfolge wird so berichtet, dass sie dem gewünschten Idealbild entsprechen. An Authentizität mangelt es hier nicht zwingend, denn die Grenze zwischen Einbildung und Erinnerung ist fliessend – in der Fachsprache wird in diesem Zusammenhang von „false memories“ gesprochen. Grundsätzlich können Kompetenzen mittels Fragen schlecht geprüft werden, denn Kompetenz bedeutet „richtiges Handeln in einer konkreten Situation“. Um den Reifegrad einer Kompetenz zu bestimmen, eignen sich hauptsächlich Beobachtungen in realen Situationen. Mit Assessments und Probearbeiten können Kandidaten ihre Kompetenzen beweisen und für Blender bedeuten sie «Game Over».
Interviewfragen sind zur Einschätzung der Persönlichkeit sehr gut geeignet, vorausgesetzt sie sind klug gestellt. Und kluge Fragen entstehen meist ungezwungen – in einem zielkonfliktfreien und natürlichen Gesprächsfluss. Das Jobinterview ist jedoch von einem oft unterschätzten Zielkonflikt dominiert. Denn während Recruiter versuchen, Schwächen aufzudecken, geben Kandidaten alles, diese zu kaschieren. Wie soll hier ein natürlicher Dialog stattfinden? Gar nicht, behaupte ich. Ein Vorstellungsgespräch auf gleicher Augenhöhe wird erst möglich sein, wenn wir das Rollenverständnis in Interviews überdenken und dieses neu strukturieren!
Wie wäre es mit der gleichen Aufteilung in der Gesprächsführung? Die eine Hälfte des Jobinterviews wird vom Unternehmen und die andere vom Kandidaten geführt, denn beide Parteien sollen sehr gut einschätzen können, auf was sie sich einlassen. Heute wird der Bewerber meistens einseitig bis zur totalen Erschöpfung verhört. Gegen Ende des Interviews erfolgt dann die halbherzige Einladung: «Haben Sie noch Fragen?» Eine von softgarden durchgeführte Studie aus dem Jahr 2017 über Vorstellungsgespräche aus Bewerbersicht bestätigt den Wunsch der Kandidaten, mehr über die Stelle zu erfahren. 72,8% der 1’186 Teilnehmenden legen grossen Wert auf einen hohen Informationsgehalt in den Jobinterviews. Zudem kann dieses Wechselspiel unglaublich aufschlussreich sein: Wird der Kandidat seine Persönlichkeit mit dem Machtwechsel – vom Interviewenden zum Interviewer – ändern? Den Kandidaten in unterschiedlichen Rollen zu erleben, zeigt uns viel mehr über seine Persönlichkeit und einige seiner Kompetenzen als viele Antworten zusammen.
Interviews sind auch in der digitalisierten Zukunft noch ein zielführendes Instrument – sowohl zur Analyse der Bewerberpersönlichkeit als auch zur Einschätzung des Stelleninhalts und des Arbeitsumfelds. Vorausgesetzt, die richtigen Fragen werden gestellt. Nach der Analyse über sinnlose Interviewfragen bin ich zur folgenden Definition über kluge und unkluge Jobinterviewfragen gekommen:
- Unkluge Fragen bieten dem Bewerber viel Raum, seine Antwort dem gesuchten Idealprofil anzupassen. Fragen wie «Was ist Ihr Führungsstil?» oder «Wo liegen Ihre Stärken?» gehören in diese Kategorie. Der kluge Bewerber passt seine Antwort strategisch dem Idealprofil des Unternehmens an (was ihm in Bewerbertrainings auch so eingetrichtert wird!). Der Recruiter wird so allenfalls erfahren, ob der Kandidat das Idealprofil verstanden hat. Über die Persönlichkeit des Bewerbers erfährt er allerdings nur wenig.
- Kluge Fragen hingegen bieten dem Bewerber wenig Raum, seine Antwort strategisch anzupassen. Sie bohren sich durch die Berufsidentität hindurch zur wahren Persönlichkeit des Interviewten. Der kluge Bewerber antwortet auf solche Fragen authentisch, weil er sich sonst schnell in Widersprüche verstricken wird. Einige Beispiele kluger Fragen habe ich hier zusammengestellt.
Kluge Fragen, um mehr über die Persönlichkeit des Kandidaten zu erfahren:
- Wie haben Sie sich auf den Termin heute vorbereitet? Nennen Sie mir eine für Sie wichtige Frage, die Sie bei der Vorbereitung nicht beantworten konnten?
- Wer ist Ihr Vorbild und warum? Welches Vorbild hatten Sie vor 7 Jahren?
- Mit welcher Art von Menschen arbeiten Sie gerne zusammen? Eher mit ruhigen, dominanten, humorvollen oder strukturierten Kollegen? Warum?
- Erzählen Sie, was das Verrückteste war, was Sie in Ihrem Leben bisher gemacht haben!
- Was müsste passieren, damit Sie den Schritt zu uns bereuen?
- Was bedeutet Erfolg für Sie? Hat sich Ihr Erfolgsverständnis über die Jahre geändert?
- Was glauben Sie, was Menschen wirklich zur Arbeit anspornt: Ist es Geld, Karriere, Begeisterungsfähigkeit, Ehrgeiz, Berufung oder anderes?
- Was meinen Sie, ermöglicht wirklich gute Leistungen?
- Welche Freiheiten sind Ihnen wichtig?
- Welche Werte geben Sie Ihren Kindern mit?
Kluge Fragen, um mehr über das Unternehmen und die Stelle zu erfahren:
- Welchen Herausforderungen werde ich in den ersten 3 Monaten begegnen?
- Wo sitzt der Vorgesetzte in Meetings?
- Welche Herausforderungen hat das Unternehmen aktuell – und wie kann der perfekte Kandidat dazu beitragen, diese zu meistern?
- Wo werde ich überall eingesetzt?
- Ist jemand aus dem Team in den letzten Jahren befördert worden? Wenn ja, warum wurde diese Person befördert?
- Was sind die wichtigsten Fähigkeiten, die jemand haben muss, um innerhalb des Unternehmens erfolgreich zu sein?
- Welches Wissen sollte ich mir vor dem Start noch aneignen?
- Wo ist meine Stelle organisatorisch angegliedert?
- Welche Teamrituale pflegen Sie?
- Haben Sie noch Zweifel an meiner Eignung für diese Position, über die wir reden sollten?


